Brillen schaffen Perspektiven in Brasilien
Michelle Schönig
Was tun mit einer alten Brille, die sinnlos zu Hause rumliegt und eigentlich für niemanden mehr zu gebrauchen ist? In den Müll? Oder doch lieber nach Brasilien damit?
Oldenburg /Recife Fast zwei Drittel der Menschen brauchen eine Brille. Von diesen müssen circa ein Drittel die Brille sogar ständig tragen. Über das Leben hinweg betrachtet, wechselt man die kleine Sehhilfe viele Male. Man mag sie vielleicht nicht mehr leiden oder die Sehstärke stimmt nicht mehr.
Doch während diese Brillen hier nicht mehr benötigt werden, stellen sie für die Menschen in Brasilien einen großen Wert dar. Daher ruft Stephan Müller, gelernter Kapitän und selbst Brillenträger, alle Bürgerinnen und Bürger Oldenburgs dazu auf, nicht mehr benötigte Brillen an Sammelstellen abzugeben, damit diese aufbereitet und weiter nach Brasilien transportiert werden können.
Bereits im letzten Jahr wurden im Zuge des Projektes „Visão sem Fronteiras“ (Sehen ohne Grenzen) gebrauchte Brillen gesammelt und im Mai konnten nun erstmals insgesamt 207 durch „Optiker Schulz“ geprüfte und aufgearbeitete Brillen an Patienten nach Recife in Brasilien verteilt werden.
Transport und Verteilung
Viele Bewohner Recifes sind sehr arm und nicht krankenversichert, sodass sie keine ärztliche Hilfe beziehen können. Wer hier nicht richtig sehen kann, dem fällt es mitunter sehr schwer sein Leben erfolgreich zu bestreiten, denn kostenlose Optiker und Brillen zum Nulltarif gibt es hier nicht.
Brillen haben bei den Armen keine Priorität, weil das Geld für wichtigere Dinge ausgegeben wird. Doch wer nicht richtig sehen kann, der kann oft auch keiner Arbeit nachgehen, um Geld zu verdienen. Eine Brille könnte somit helfen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen.
Daher möchte Stephan Müller in Zusammenarbeit mit der „Fundação Altino Ventura“ (Altino Ventura Stiftung) in Brasilien dabei helfen, dass diese Menschen die dringend benötigten Brillen auch bekommen.
Bei der Stiftung handelt es sich um eine staatlich anerkannte Klinik, die sich aus öffentlichen Geldern und privaten Spenden finanziert. Sie hat sich unter anderem auf Augenerkrankungen spezialisiert. Monatlich besuchen etwa 15 000 Patienten die Stiftung und erhalten dort kostenlose Untersuchungen. Doch die Ärzte vor Ort können lediglich die Erkrankung feststellen, im Bedarfsfall dem Patienten aber nicht mit einer Brille aushelfen. Diese müssen sie sich selbst besorgen. Immerhin konnten nun 207 Brillen an Patienten vermittelt werden. Benötigt werden jedoch sehr viel mehr.
Die Brillen bringt Stephan Müller, der selbst familiäre Beziehungen nach Brasilien pflegt, bei seinem jährlichen Besuch in Recife, einfach in seinem Koffer mit. „Wenn man sowieso einmal im Jahr dort ist, bietet sich das so an. Und die Gebühren für das extra Gepäck zahle ich gerne“, berichtet er.
Entstehung der Idee
Die Idee zur Sammlung und Verteilung der gebrauchten Brillen, kam Stephan Müller, als er am Beispiel seiner Schwiegermutter mitbekam, wie kompliziert es in Brasilien ist, an eine Brille zu kommen. Selbst wenn man, wie in ihrem Fall, krankenversichert ist, ist es ein sehr mühsamer Prozess. Nach dem Gang zum Augenarzt, muss man zum Optiker, welcher dann die Ergebnisse der Untersuchungen an das Labor weiterleitet. Danach wird die Brille noch einmal von Optiker und Augenarzt angepasst, bis sie dann endlich beim Patienten ankommt.
Hinzu kommt noch, dass die Krankenkasse bei diesem Prozedere nur die Gläser der Brille und die Erstuntersuchung zahlt. Der Rest bleibt am Patienten hängen. Wer also nicht genügend Geld hat, dem bleibt die benötigte Brille oft verwehrt. Und wie wichtig eine gute Sehkraft ist, weiß Stephan Müller aus persönlicher Erfahrung. „Ich bin von Haus aus Kapitän, doch ohne eine Augenoperation hätte ich diesen Beruf nicht ausüben können“, erzählt er.
Da eine Fehlsichtigkeit auch die schulische Ausbildung und das Berufsleben enorm beeinträchtigen kann, sei es wichtig, den Leuten in Recife zu helfen. Denn wer eine bessere Ausbildung erhält und mithilfe einer Brille einer Arbeit nachgehen kann, die sonst unmöglich wäre, der schafft es wiederum einfacher, auch der Armut zu entfliehen.
Anforderungen der Brille
Da alle gesammelten Brillen bei „Optiker Schulz“ nachvermessen und überprüft werden, muss man sich nicht selbst mit der Frage auseinandersetzten: Ist meine Brille noch gut genug? Wer also eine alte, schon längst verstaubte Brille zu Hause rumliegen hat, der kann diese einfach mitbringen und auch ohne Brillenpass, bei einer der Sammelstellen abgeben. Auch wenn die Brillengläser möglicherweise verkratzt sind, so sind die Brillen nicht unbedingt wertlos, da die Fassung noch verwendet werden könne, erklärt Müller. „Die muss der Patient dann schon mal nicht mehr bezahlen.“ Auch Sonnenbrillen, ob mit Sehstärke oder nicht, sind eine gern gesehene Spende. Denn in Brasilien ist die Belastung für die Augen durch die starke UV-Strahlung enorm hoch. Gerade nach einer Augenoperation sei das Auge sehr empfindlich und die Strahlung äußerst schmerzhaft. Eine Sonnenbrille stelle somit eine enorme Hilfe dar.
Natürlich weiß auch Stephan Müller, dass es schwierig ist, für die einzelnen Patienten, genau die passende Brille zu finden, da normalerweise die Brille an den Patienten angepasst und nicht für die Brille der passende Patient gesucht wird. „Auch wenn eine Brille nicht ganz perfekt zum Patienten passt, kann sie trotzdem eine große Hilfestellung sein“, erkennt er aber. „Denn auch, wenn man eigentlich eine Brille mit einem Dioptriewert von +10 bräuchte und nur eine mit einem Wert von +9 bekommt, kann man schon ein ganzes End besser sehen, als ganz ohne Brille.“
Sammelstellen
Brillen können hier abgegeben werden:
Staatstheater Oldenburg, Theaterwall 28
Optiker Schulz, Achternstraße 30-31
Salon Konken, Damm 14
Ballhaus Oldenburg, Klingenbergstraße 193
Weitere Projekte und Sammelstellen in Oldenburg:
Für das Projekt „Brillen ohne Grenzen“, das ebenfalls gebrauchte Brillen an Hilfsbedürftige weltweit sammelt, können hier Brillen abgegeben werden:
Brillen Schwarz, Großer Kuhlenweg 21a
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